Samstag, 14. November 2020

Nicht-binär und Testosteron nehmen?

Es gibt so viele verschiedene Menschen, die sich als nicht-binär/ a-binär/ genderqueer/ weder-noch usw. identifizieren. Die meisten machen unterschiedliche Erfahrungen und haben auch unterschiedliche Bedürfnisse, wie auch cisgeschlechtliche Personen und binär-transgeschlechtliche Personen unterschiedliche Bedürfnisse und Lebenswege haben. Alle diese Bedürfnisse sind valide und es müssen nicht zwangsweise bestimmte medizinische Wege gegangen werden, um transgeschlechtlich und/oder nicht-binär zu sein. Nicht alle haben den Wunsch Hormone zu nehmen oder verschiedene Ops durchführen zu lassen und das ist auch absolut ok so! Manche möchten dies und das ist auch ok so!

In diesem Eintrag soll es darum gehen, wie es auch für nicht-binäre Personen möglich ist, wenn sie es denn möchten, Hormone zu nehmen. Speziell geht es dabei um Testosteron für Menschen, denen bei Geburt „weiblich“ zugeschrieben wurde, weil das ein Thema ist, über das ich guten Gewissens reden kann, da es mich selbst betrifft und ich selbst diese Erfahrung gemacht habe. Zunächst einmal sieht das System in Deutschland vor, dass Personen, die Hormone nehmen möchten und in das Spektrum von Transgeschlechtlichkeit fallen, eine Indikation von eine*r Psycholog*in vorweisen können. Da werden die meisten nicht drumherum kommen, denn die meisten Ärzt*innen werden eine solche Indikation verlangen, bevor sie Testosteron verschreiben. Das ist leider ganz schön diskriminierend, weil somit natürlich ein*e Psycholog*in darüber entscheidet, ob ihr Hormone bekommen könnt oder nicht. Das bedeutet ihr braucht erst einmal eine*n Psycholog*in, die so eine Indikation schreiben würde. Auf der Suche nach so einer Person solltet ihr eure örtlichen Transberatungsstellen um Rat fragen, denn dort gibt es oft schon Adressen von Psycholog*innen, die bereits mit transgeschlechtlichen Menschen gearbeitet haben (natürlich ist das trotzdem kein Erfolgsrezept, aber schonmal ein Anfang zum Suchen). Hier gibt es mehr Informationen zur Psycholog*innensuche.

 Bitte beachtet, dass viele der folgenden Ausführungen leider emotional ganz schön ans Innerste gehen können. Das medizinische System in Deutschland hat die Existens von nicht-binären Menschen bisher nicht offiziell anerkannt, weshalb die meisten Ressourcen, Richtlinien und Prozesse sehr binärgeschlechtlich gedacht werden. Auch ist das System nicht gerade nett zu Menschen mit auf die Psyche bezogenen Vordiagnosen.

 

Was ist eine Indikation? 

Eine Indikation ist wie ein Attest für Medikamente. Die*der Psycholog*in schreibt die Indikation hier geht es zu einem Beispiel wie so eine Indikation aussehen kann.

 

Was soll in einer Indikation stehen? (Entnommen aus: "Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen")

1. Die Diagnose einer manifesten Geschlechtsidentitätsstörung wurde durch einen Psychiater / Psychotherapeuten ausreichend anhand der diagnostischen Kriterien überprüft und gesichert (Diagnose: F 64.0)

2. Komorbiditäten (insbesondere psychische) sind ausreichend stabilisiert bzw. ausgeschlossen.

3. Die Behandlung beim Psychiater / Psychotherapeuten wurde nachweisbar in ausreichender Intensität und Dauer durchgeführt (in der Regel mindestens 12 Monate). Der Therapeut ist zu dem klinisch begründeten Urteil gekommen, dass die genannten Ziele der psychiatrisch- psy-chotherapeutischen Behandlung erreicht sind.

4. Der Patient hat das Leben in der gewünschten Geschlechtsrolle erprobt (Alltagstest in der Re-gel mindestens 12 Monate).

5. Ein krankheitswertiger Leidensdruck liegt vor.

6. Voraussetzungen und Prognose für die geplante Hormonersatztherapie sind positiv. Hierzu gehören insbesondere auch die Abwägung von Kontraindikationen und der Nachweis, dass der / die Versicherte über Nebenwirkungen und Risiken der Hormonersatztherapie umfassend auf-geklärt wurde.

 Jetzt aber nicht gleich den Kopf in den Sand stecken. Es gibt auch gute Therapeut*innen, die wirklich reflektieren, dass diese Richtlinien aus den 80ern stammen und die zu transgeschlechtlichen und/oder nicht-binären Personen positiv eingestellt sind. Es gibt gute Therapeut*innen, die sie sich wirklich damit beschäftigen, wie wichtig es für viele Menschen ist, möglichst zeitig auch Hormone zu bekommen und, die obendrein verstehen, dass der Alltagstest, ohne Hormone zu nehmen, für viele Menschen einfach eine absolut unlogische Zumutung ist. Fragt wie gesagt bei euerer lokalen Transberatungsstelle nach solchen Adressen und scheut euch auch nicht direkt am Anfang nachzufragen, ob sich der*die Therapeut*in vorstellen könnte so eine Indikation zu schreiben. Es nützt nämlich absolut nichts die Anstrengung und Zeit auf sich zu nehmen, wenn der*die Therapeut*in am Ende doch nichts schreibt und/oder auch keine Anung hat, was eigentlich die Anforderungen an eine solche Indikation sind!

 

Wer kann Testosteron verschreiben? 

Testosteron verschreiben können Endokrinolog*innen, Gynäkolog*innen, Urolog*innen und sogar Hautärzt*innen. Die Frage ist, ob sie es auch tun. Dafür könnt ihr euch vorher bei Ärzt*innen in eurer Nähe informieren. Vielleicht hat eure ansässige Transberatungsstelle auch schon gute Adressen von Ärzt*innen, die Erfahrungen mit transgeschlechtlichen Personen haben, damit ihr nicht zu lange suchen müsst. Mit der Indikation könnt ihr dann zu diesen Ärzt*innen hin gehen.

 

Welche Hormone? 

Es gibt verschiedene Arten von Testosteron, die ihr euch verschreiben lassen könnt und verschiedene Arten, wie sie „einzunehmen“ sind. Lasst euch am besten von euren Ärzt*innen dazu beraten und informiert euch auch schon vorher darüber. Einige Ärzt*innen haben nämlich auch gar keine Ahnung was die Nebenwirkungen sein können. Hier ein paar Adressen. Leider sind sie alle ziemlich binär:  

TransMann e. V. 

Broschüre mit Nebenwirkungen 

Ihr könnt euch beispielsweise dazu entscheiden eine Spritze oder Testogel zu nehmen (die meisten Ärzt*innen lassen euch die Wahl, fall snicht könnt ihr auch versuchen auf euere Selbstbestimmungsrecht zu beruhen oder ihr sucht euch eine*n andere*n Ärzt*in). Testogel muss dann jeden Tag, z. B. morgens im Bad, auf die Haut aufgetragen werden. Mit Spritzen kenne ich mich zu wenig aus, aber was Gel angeht bekommt ihr von dem*der Ärzt*in ein Rezept, mit dem ihr dann einfach in der Apotheke Testogel bekommen könnt. Dafür fallen für euch, soweit meine Erfahrung, 10€ für eine Drei-Montas-Packung an. Den Rest muss die Krankenkasse bezahlen. Auch beim Gel gibt es unterschiedliche Präparate z. B. im Pumpspender oder als Gelpäckchen (wie auf dem Foto).

Bevor ihr aber Testosteron verschrieben bekommt müsst ihr normalerweise einen Bluttest machen, der dann auch alle paar Monate wiederholt wird, um den Hormonspiegel zu analysieren. Manche Ärzt*innen bestehen auch darauf, vorher eine Genitaluntersuchung zu machen, um festzustellen, dass ihr nicht intergeschlechtlich seid. Das ist auch sehr diskriminierend gegenüber intergeschlechtlichen Menschen, denen ein trans Weg versperrt werden soll. Es ist indviduell abhängig von den Endokrinolog*innen/ Gynäkolog*innen usw., ob sie die Indikation anerkennen, wenn eine Person nicht-binär ist. Es ist aber auch so, dass, wenn ihr eine Indikation habt, diese auf jeden Fall schonmal eine gute Voraussetzung ist, denn damit ist quasi eine „medizinische Notwendigkeit“ bestätigt, dass ihr Hormone braucht.

Wenn ihr dennoch skeptisch seid, ob das klappt, könnt ihr auch entweder eure*n Therapeut*in fragen, ob sie*er auch die Diagnose „Mann zu Frau Transsexualität (F64.0)“ auf die Indikation schreiben kann, oder ihr könnt überlegen, ob ihr dem*der Therapeut*in von Anfanga an überhaupt sagen wollt, dass ihr nicht-binär seid. Ich finde auch diese beiden letzten Option sind nicht zu verurteilen, auch, wenn es vielleicht so rüber kommt als ob eins lügt. Schließlich ist nicht eins selbst das Problem, sondern das binäre Gesundheitssystem, welches uns die nötigen Möglichkeit verwehren will, so zu leben wie wir uns wohl fühlen!

Soviel dazu, wie ihr an Testo heran kommt. Bald gibt’s auch mehr dazu, wie ihr mit den evtl. unerwünschten Nebenwirkungen umgehen könnt, die nun Mal mit einiger Wahrscheinlichkeit mit der zweiten Pubertät einher gehen (Akne usw.).

 

Alles Liebe

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